Angst beginnt im Kopf – Mut auch
„If you want to conquer fear, don’t sit at home and think about it. Get out and get busy!“
(Dale Carnegie)
Angst – ein ständiger Begleiter
Da, wo die Angst ist, da geht’s lang. In diesem Satz steckt sehr viel Wahrheit. Nur braucht es manchmal eine lange Zeit, um dahinter zu kommen. Bei mir war das so. Die meiste Zeit meines Lebens war die Angst mein ständiger Begleiter. Besonders in Situationen, in denen Veränderung anstand, hat sie mich immer wieder aufs Neue übermannt. Und anstatt ihr mutig in die Augen zu blicken, habe ich ihr lange nachgegeben. Und habe mich dadurch vieler Möglichkeiten zum persönlichem Wachstum beraubt. Statt nach dem Abitur in die Welt zu gehen, habe ich mich in den Schoß der Magersucht geflüchtet. Habe meinen Kampf mit der Angst auf der Ebene des Essens ausgefochten.
Angst vor der Angst
Stellen wir uns unseren Ängsten nicht, so ist die Gefahr groß, dass sie uns irgendwann völlig im Griff haben. Denn der Weg von „normaler“ i.S. von physiologischer Angst in eine (pathologische) Angststörung ist nicht weit. Ich habe viele unterschiedliche Diagnosen, Klinikaufenthalte und Therapien gebraucht, bis sich die Angst in Form einer klassischen Panikstörung gezeigt hat. Ich weiß noch genau, wie in einem Treppenhaus die Wände auf mich zuzukommen schienen und ich kaum noch Luft bekam. Wer einmal eine Panikattacke erlebt hat, der weiß, wie lebensbedrohlich sich das anfühlt. Und dass nur das kleinste Anzeichen einer körperlichen Veränderung wie Herzrasen, Atemnot, Engegefühl auf der Brust eine neuerliche Attacke befürchten lässt. So beginnt ein Kreislauf aus Ängsten und in der Folge Angst vor der Angst. Ganz langsam, Stück für Stück reduziert sich das Leben auf das alles beherrschende Thema. Angst essen Seele auf – dieser Satz beschreibt aus meiner Erfahrung heraus sehr gut, was passiert, wenn sich Ängste chronifizieren.
Der Angst einen Namen geben
Am Ende begann der Weg aus der Angst mit dem Benennen dieser. Es ist nicht leicht zuzugeben, dass einen die Ängste im Griff haben. Das fühlt sich wie ein Eingestehen von Schwäche an. Eine Angststörung ist keine „fancy“ Diagnose. Während es scheint, als ob ein Burn out die Diagnose besonders ehrgeiziger und leistungsorientierter Menschen sei, spricht niemand gern darüber, dass ihn seine Ängste gefangen halten. Stattdessen wird diese oft in Alkohol ertränkt oder durch anderweitiges Suchtverhalten kompensiert und führt in der Folge oftmals auch in die Einsamkeit. Ein Teufelskreis. Der meiner Ansicht nach nur dadurch durchbrochen werden kann, dass Betroffene sich in einem geschützten Rahmen so zeigen dürfen, wie sie sind. Mit Menschen an der Seite, die damit umgehen können. Die den Ängsten standhalten und sich nicht so von ihnen einschüchtern lassen wie die Betroffenen selbst.
Angst als Chance
Heute hat mich die Angst nicht mehr länger im Griff. Was nicht heißt, dass ich keine Ängste mehr habe. Ganz im Gegenteil. Mir bereiten immer noch sehr viele Dinge großes Unbehagen. Aber heute weiß ich, dass es mich nicht umbringt. Die Angst ist vielmehr ein wertvoller Wegbegleiter. Wo immer sie sich zeigt, da sollte ich besonders aufmerksam hinsehen. Da tut sich eine Chance auf, weiter zu wachsen bzw. über mich hinauszuwachsen. Betäube ich dieses Gefühl nicht wie früher mit selbstzerstörerischem Verhalten und dem Rückzug in Suchtverhalten, sondern schaue ihr ins Gesicht und mache die Erfahrung, dass sie mich nicht umbringt, sondern im Gegenteil viel stärker macht, dann gewinne ich die Freiheit über mein Leben zurück. Denn jede Flucht aus einer angstauslösenden Situation gibt dem Teufelskreis nur neue Nahrung. Jede Konfrontation hingegen zahlt auf mein Mutkonto ein, und die Angst verliert nach für nach ihren Schrecken.
Die Angst steht vor der Tür – das Vertrauen öffnet
Der Durchbruch in meiner Geschichte war die Erkenntnis und ist es bis heute, dass die Angst mir etwas sagen möchte. Sie tritt niemals ohne Grund auf. Schaue ich sie mir an, und bin ich absolut ehrlich mit mir selbst, dann offenbaren sich mir Themen, die problematisch sind und meine Seele belasten. Themen, die Beachtung brauchen und ihre Macht über mich verlieren, wenn ich sie – der Angst sei Dank- bearbeite bzw. loslasse. Alleine die Erkenntnis, dass ich mich entweder als Opfer meiner Geschichte betrachten und Angst haben kann oder aber Verantwortung für mein Seelenleben bzw. -heil übernehmen und Gestalter meines Lebens sein kann, hat alles für mich verändert. Es ist meine Entscheidung: Ich kann mich hinter der Tür verstecken. Oder aber ich öffne sie voller Vertrauen, dass das Leben es gut mit mir meint und in den nächsten Gang schalten möchte.