Chiropraktik innerhalb der Osteopathie
„If you „crank“ hard enough on a spinal joint you can make a noise. The key is specificity to correct a spinal issue.“ (Dr. Jenkins, Lighthouse health Kelowna)
Chiropraktik hat doch nichts mit Osteopathie zu tun, oder?
Immer wieder treten Menschen mit der Frage an mich heran, wo der Unterschied zwischen Osteopathie und Chiropraktik ist. Ebenso häufig begegnet mir die Aussage, dass Osteopathen die Wirbelsäule im Unterscheid zu Chiropraktikern nicht knacken. Mit diesem Text möchte ich dazu beitragen, den Nebel der Verwirrung um das Thema Wirbelsäulenmanipulationen zu lichten.
Wirbelsäulenmanipulationen
Solange der Mensch Aufzeichnungen innerhalb medizinischer Kontexte verfasst, solange finden wir auch Hinweise auf „handgemachte“ Behandlungsweisen der Wirbelsäule. In Europa waren es z.B. die antiken Griechen, die mit ihrer „Rachiotherapie“ die ersten Lehrbuchinhalte der „manuellen Therapie“ erstellten (manus ist lateinisch und bedeutet „die Hand“). Darauf folgten die antiken Römer. Und auch im Mittelalter finden sich Quellen der gelehrten Medizin, die auf Behandlungen der Wirbelsäule hinweisen. Man kann also sagen, die von Hand gemachte Behandlung der Wirbelsäule innerhalb medizinischer Konzepte ist im Grunde genommen steinalt.
Chiropraktik und Osteopathie
Viele Mythen ranken sich um die Entstehung der heutigen, großen, alternativmedizinischen Konzepte der Chiropraktik und Osteopathie. Zuallererst muss ich hier anführen, dass die technischen Differenzen kleiner sind als der Laie glauben mag. So kenne ich Osteopathen, die selbstverständlich Behandlungtechniken durchführen, die der Chiropraktik zugesprochen werden, und sogenannte Chiropraktiker, die angeblich osteopathische Techniken durchführen. Vielleicht ist es zur Differenzierung der Unterschiede einfacher, die „technischen Aspekte“ der Behandlung beiseite zu lassen und sich den philosophischen Unterbau näher anzuschauen.
Chiropraktik: Alle Erkrankungen sind Folge von Subluxationen der Wirbelsäule
Der Ansatz der amerikanischen Chiropraktik („Chiropractic“) ist vitalistisch geprägt. Eine selbst regenerierende Kraft beherrscht den Körper. Diese ist eine Ausprägung des Nervensystems, dass ungestört von funktionellen Blockaden („Subluxationen“) an der Wirbelsäule jeden Teil des Körpers erreichen kann und dort für optimale Regeneration und Wachstumsprozesse sorgt. Umgekehrt sorgen Subluxationen bzw. Wirbelfehlstellungen für einen eingeschränkten „Flow“ dieser vitalen Kräfte und sollten daher so schnell wie möglich mit der richtigen Technik behoben werden. Diese Techniken entstammen logischerweise dem Repertoire der Chiropraktik und heißen im Kontext der amerikanischen Chiropractic „adjustments“.
Osteopathie: Alle Erkrankungen sind Folge von dekompensierten Funktionsstörungen
Auch der Ansatz der Osteopathie ist vitalistisch geprägt. Der menschliche Körper ist selbstregulierend und selbstregenerierend. Frei von Funktionsstörungen ist er in der Lage, sich bestmöglich selbst zu erhalten, zu heilen und zu wachsen. Funktionsstörungen können in jedem menschlichen Gewebe auftreten: in Teilen des Bewegungsapparates, im Stoffwechselsystem oder an anderen Organen oder auch am Nervensystem mit all seinen Anteilen. Dergestalt ist die Untersuchung und Behandlung der Osteopathie komplexer gestaltet als die der Chiropraktik. Alle Anteile des menschlichen Körpers werden in ihren Beziehungen zueinander gesehen. Nach Untersuchung und Diagnose von Funktionsstörungen werden diese in einen ganzheitlichen Kontext gesetzt und behandelt. Heißt konkret z.B. einen Beckenschiefstand zu behandeln, indem man die eigentlich ursächliche Verletzung des Sprunggelenks korrigiert.
Knacken der Wirbelsäule
Aus diesen Erläuterungen wird ersichtlich, dass die Chiropraktik (oder amerikanische Chiropractic) lediglich die Wirbelsäule behandelt, Osteopathen der Wirbelsäule bzw. dem wirbelbezogenen Zentralnervensystem aufgrund seiner besonderen Stellung aber ebenso Beachtung schenken. Um die Wirbelsäule zu behandeln werden in beiden Lagern verschiedene Techniken angewendet, die grob gesagt viele Überschneidungen haben. Bei der amerikanischen Chiropractic werden neben den von Hand ausgeführten Techniken allerdings auch allerlei Hilfsmittel verwendet, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen. Grundsätzlich gibt es große Ähnlichkeit zwischen den Techniken, auf die das Gewebe im Wirbelbereich mit einem Knacken reagiert (kein Mensch weiß, wodurch das Knacken entsteht). Diese Techniken werden mit großer Geschwindigkeit bei kleiner Amplitude durchgeführt („high velocity, low amplitude“ = HVLA). Beide Lager verwenden diese Techniken zur Lösung von Funktionsstörungen der Wirbelsäule, nur dass Chiropraktiker von Subluxationen und Osteopathen von reversiblen Dysfunktionen sprechen.
Ist das Knacken der Wirbelsäule immer notwendig?
Grundsätzlich ist das knackende Geräusch nicht Indiz einer erfolgreichen Wirbelsäulenbehandlung. Davon abgesehen, dass es weder in der Chiropraktik noch in der Osteopathie immer zu einem entsprechenden Geräusch kommen muss. Abhängig von der gewählten Behandlungstechnik ist in beiden Lagern nicht unbedingt von einem Geräusch bei der Behandlung auszugehen. Wichtig ist aus Sicht des Osteopathen die erfolgreiche Wiederherstellung der Beweglichkeit im bewegungseingeschränkten Wirbelsäulenbereich. Aus Sicht der Chiropraktik vor allem die Korrektur einer bestehenden Subluxation. Abhängig von der Problemstellung kann und sollte es jedoch auch ein Osteopath in Betracht ziehen, mit einer entsprechenden HVLA-Technik zu behandeln und evtl. ein Geräusch zu erwirken (neben verbesserter Beweglichkeit, um die es eigentlich geht).
Bestehen bei HVLA-Techniken besondere Risiken?
Es ist zumindest so, dass derartige Techniken an der Wirbelsäule mit einem messbaren Einsatz von Kraft und Geschwindigkeit einhergehen. Daher ist es für den Therapeuten – egal ob Osteopath oder Chiropraktiker – unbedingt sinnvoll, seine Befragung nach Vorerkrankungen und Dauermedikation des Patienten um die entsprechenden Risikofaktoren zu erweitern. Zum Beispiel ist eine Behandlung eines osteoporotischen (Osteoporose = Knochenschwund) Patienten wenig sinnvoll, da das Risiko eines Bruches immens hoch ist. Auch Patienten, die dauerhaft Kortison einnehmen sollten mit anderen Techniken behandelt werden, da Kortison nicht nur zu Osteoporose führen kann, sondern auch die Blutgefäße in ihrer Integrität stören kann. Die Verletzung eines Blutgefäßes im Zuge einer HVLA-Technik kann insbesondere an der HWS tödlich enden. Eine verantwortlich arbeitende Praxis weist ihre Patienten/- innen daher schriftlich und zusätzlich mündlich auf die entsprechenden Risiken hin.
HVLA-Technik: Risiko-Nutzen-Bilanz
Nach diesen Erläuterungen mag es manchen Patienten besser scheinen, auf das Knacken der Wirbelsäule zu verzichten. Tatsache ist, dass es in den Händen eines gut ausgebildeten und gewissenhaft arbeitenden Therapeuten eine risikoarme, schnell machbare und äußerst nebenwirkungsfreie Behandlung ist. Wie immer bei einer Therapie sollte der Durchführung einer Maßnahme eine Risiko-Nutzen-Abwägung vorausgehen. Fällt diese zugunsten der HVLA-Technik aus, so sollte der Patient bestmöglich aufgeklärt und – sein Einverständnis vorausgesetzt – bestmöglich behandelt werden.