Fremdmotivation
„Life is tough, my darling, but so are you!“
(Stephanie Bennet Henry)
Was kann mein Kind, was kann es nicht?
Wenn es um das Thema Motivation und Verantwortung im täglichen Leben geht sprechen wir nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Kindern und Jugendlichen. Leider geht es dabei nicht immer um die Eigenmotivation der Jüngsten, sondern viel häufiger um die Fremdmotivation der primären und sekundären Erzieherinnen und Erzieher. Seepferdchen mit vier Jahren, Englischunterricht im Kindergarten, Klavierspielen lernen als Kleinkind – die Liste der vermeintlichen Erfordernisse in der Kindheit und Jugendzeit ist heute lang. Bereits bei den U-Untersuchungen, die bis zum siebten Lebensjahr in Deutschland Pflicht sind, werden die Kinder mit anderen und dem „Standard“ verglichen. Das Augenmerk liegt dabei häufig auf den Dingen, die das Kind noch nicht kann, statt auf denen, die das Kind schon kann.
Gestresste Kinder und Jugendliche
Der Alltag vieler deutscher Familien ist gut durchgetaktet, auch der der Kinder. In vielen Haushalten sind beide Eltern berufstätig, weil es oft finanziell nicht anders machbar ist. Dies erfordert häufig, dass die Kinder früh in die Obhut von Kitas gegeben werden. Bereits in diesem jungen Alter ist mittlerweile gut nachgewiesen, dass viele Kinder unter einem erhöhten Stresspegel stehen. Es wurde herausgefunden, dass Kita-Kinder einen höheren Cortisolspiegel (Stresshormon) aufweisen als Kinder, die länger zu Hause betreut werden. Erstaunlicherweise trifft das sogar auf Kinder zu, die in schwierigen sozialen Verhältnissen aufwachsen.
Zahlen und Fakten
Laut der Uni Bielefeld fühlt sich jedes sechste Kind und jeder fünfte Jugendliche in Deutschland gestresst. Interessant ist, dass 40 % der Eltern denken, dass ihr Kind nicht genug gefördert wird. 83 % der Kinder haben nach eigenen Angaben zu wenig Zeit für Dinge, die ihnen Spaß machen. Dabei ist die Schule für die Jüngsten Stressfaktor Nummer eins. Ein Drittel der Kinder fühlt sich regelmäßig durch die Bildungseinrichtungen überfordert. Als weitere Stressfaktoren werden die Eltern (15 Prozent) und Freunde (6 Prozent) genannt.
Förder- und Optimierungswahn
Die Deutschen befinden sich im Förder- bzw. Optimierungswahn. Laut der Bertelsmann-Stiftung werden im Jahr 900 Millionen Euro für Nachhilfeunterricht ausgegeben. Viele der geförderten Kinder sind gut und befriedigend in den Fächern, in denen sie Nachhilfeunterricht erhalten. 65 % der Schülerinnen und Schüler geben an, ihre Hausaufgaben nur mit Hilfe der Eltern zu schaffen. Die Umstellung in vielen Bundesländern von 13 auf 12 Jahre Schule hat zur Folge, dass viele Stunden auf den Nachmittag gelegt werden und somit weniger freie Zeit bleibt. Immer mehr Eltern möchten außerdem, dass ihr Kind Abitur macht und auf das Gymnasium geht, um später bessere Berufschancen zu haben.
Jeder hat seine eigene Zeit
Jedes Kind hat jedoch sein eigenes Entwicklungstempo. Daher ist Vorsicht vor überhöhter Fremdmotivation angezeigt. Kein Kind muss mit neun Monaten schon laufen können. Niemand muss vor der Schule die Grundrechenarten beherrschen und mit 6 Jahren im 50-Meter-Sprint Altersklassenrekord laufen. Die kognitive und motorische sowie körperliche Entwicklung verläuft bei jedem Kind anders. Aufgabe der Erwachsenen ist es, ihren Sprösslingen Räume zu schaffen, in denen sie sich entwickeln dürfen und können. Nicht jedes Kind ist mit elf, zwölf Jahren soweit, dass der gymnasiale Bildungsweg der Richtige ist. Es kann aber durchaus sein, dass drei, vier Jahre später die Entwicklung einen anderen Verlauf nimmt und das Kind nach dem Realschulabschluss sein Abitur machen möchte. Es ist außerdem möglich, dass die Fähigkeiten des Kindes in der Schule bisher nicht optimal gefördert wurden und der Jugendliche in einer Ausbildung seine Erfüllung findet.
Vorsicht vor überhöhten Erwartungen
Wichtig ist, die Kinder und Jugendlichen nicht um ihre Begeisterung und Neugier zu bringen. Man kann Kindern Angebote machen und ihnen mögliche Hobbies vorschlagen. Motivation sollte dabei aber nicht sein, ein Hobby anzupreisen, welches gesellschaftlich prestigeträchtig ist. Die Geburtenrate in Deutschland geht seit längerer Zeit zurück. Jede Frau hat im Schnitt nur noch 1,4 Kinder. Viele Eltern sehen in ihren Kindern unbewusst Investitionsobjekte und wollen unbedingt alles „richtig“ machen. Sie schenken ihnen viel Liebe und Förderung, haben aber gleichzeitig sehr hohe und manchmal sogar überhöhte Erwartungen.
Osteopathie bei Kindern und Jugendlichen
In der osteopathischen Sprechstunde erscheinen unserer Erfahrung nach selten Kinder, die beim Spielen umgeknickt sind oder sich den Arm verstaucht haben. Viele klagen über Kopfschmerzen, Bauchweh oder Migräne. Vegetative Symptome und Spannungen unklarer Ursache sind an der Tagesordnung. Ein Sprichwort in der Osteopathie besagt, dass man Gesundheit finden soll anstatt nach Krankheit zu suchen. Übertragen auf die Interaktion mit Kindern und Jugendlichen gilt es also vorrangig, Stärken zu fördern statt Schwächen zu bemängeln. Jedes Kind ist individuell. Jeder Mensch ist besonders. Lernen ist Leben, und wir brauchen unsere Begeisterung, die wir so oft bei Kleinkindern bewundern. Jede und jeder hat sie in sich, sie braucht aber Liebe und Pflege.
Im Archiv unseres Gesundheitsblogs ist auch ein Artikel zum Thema Kinderosteopathie zu finden, der vielleicht von Interesse sein könnte.