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Beckenschiefstand

Veröffentlicht am:

„Körpersprache ist wie gesprochene Sprache, aber sie kann nicht lügen.“ (Samy Molcho)

Die Rolle des Beckens im Körper

Das Becken spielt eine zentrale Rolle im Körper. Um verstehen zu können, wie es zum so genannten Beckenschiefstand kommen kann, müssen wir uns diese zunächst bewusst machen. Alle Myofaszialketten („Muskelketten“), die die Körperteile verbinden, haben direkt oder indirekt einen Bezug zum Becken. Oder es ist sogar, wie bei den Myofaszialketten der Extremitäten oder des Rumpfes, ihr Zentrum. Das Becken muss widerstandsfähig und belastbar sein und den ganzen Körper dabei unterstützen, seine aufrechte Körperhaltung beizubehalten. Trotzdem sollte es genügend Elastizität haben, damit sich die Beckenknochen, aber auch andere Körperteile, an asymmetrische Spannungen anpassen können. Der Körper muss folglich so gegensätzliche Eigenschaften wie Stabilität und Flexibilität bzw. Beweglichkeit kombinieren.

Faszien im Beckenboden

Die große Mobilität verdankt das Becken neben dem Hüftgelenk und den Muskeln vor allem den Faszien im Beckenboden. Faszien durchdringen unseren Körper wie ein dreidimensionales Spinnennetz und umschließen Muskeln, Organe und Gefäße, damit alles an seinem vorgesehenen Platz bleibt. Wenn wir uns bewegen, machen die Faszien in einem gesunden Körper die Bewegung automatisch mit und passen sich an die häufig durchgeführten Bewegungen an. Unsere alltäglichen Bewegungsmuster prägen also maßgeblich die Struktur und Flexibilität unserer Faszien.

Knöcherne Strukturen des Beckens

Betrachtet man die knöchernen Strukturen des Beckens, sind drei große Bereiche für uns interessant:

1. Die beiden Hüftbeine (Os coxae), die jeweils aus den drei Knochen Darmbein (Os ilium), Sitzbein (Os ischii) und Schambein (Os pubis) bestehen und in der Hüftgelenkpfanne (acetabulum) aufeinander treffen. Dort sind die Hüftgelenke verankert.

2. Das Kreuzbein (Os sacrum), ein keilförmiger Knochen am untersten Abschnitt der Wirbelsäule, der zwischen den beiden Hälften des Beckens liegt.

3. Das Kreuzbein ist mit den beiden Darmbeinen über das Illiosakralgelenk (ISG) verbunden.

Beckenschiefstand

Wenn du aufrecht stehst, so befindet sich das Becken normalerweise in einer annähernd waagerechten Position. Kippt es dauerhaft zu einer Seite, dann sprechen Ärzte von einem Beckenschiefstand. Auch wenn einige Beschwerden bei einem schiefen Becken häufiger vorkommen als andere, das klassische Leitsymptom gibt es nicht. Vielmehr führt die zentrale Lage des Beckens mitunter zu einer Ganzkörperreaktion vom Scheitel bis zur Sohle.

Symptomatik beim Beckenschiefstand

Beckenaufwärts können sich Rückenschmerzen, muskuläre Dysbalancen sowie Verspannungen in Lenden- und Halswirbelsäule zeigen. Es kann zu Schmerzen im Gesäß, Schulterschmerzen, Nackenschmerzen, Kopfschmerzen sowie zu Zahn- und Kieferschmerzen kommen. Beckenabwärts steht der Schiefstand im Verdacht, sämtliche Gelenke zu verschleißen und unbeweglich zu machen, was sich als Hüftschmerzen, Knieschmerzen oder Fußschmerzen äußern kann. Weil Gelenkkopf und Gelenkpfanne im Hüftgelenk nicht wie vorgesehen aufeinander sitzen, können sich außerdem die Knorpel ungleichmäßig abnutzen. Das Risiko einer Hüftarthrose steigt. Das durch den Beckenschiefstand scheinbar längere Bein muss beim Gehen eine seitliche Ausweichbewegung machen, was Schmerzen an der Außen- und Innenseite des Oberschenkels provozieren kann.

Folgen von Beinlängendifferenzen

Je größer die Beinlängendifferenz und die Dysbalancen sind, desto negativer können die Folgen für Becken und Wirbelsäule sein. Steht das Becken schief, so ist der Rücken um einen Ausgleich bemüht. Die Wirbelsäule versucht, den Körper trotz der Kippung in der Mitte aufrecht zu halten. Damit dies gelingt, muss sie sich bei ausgeprägtem Beckenschiefstand stark verkrümmen. Es kommt zu einer seitlichen Biegung der Wirbelsäule, die als Skoliose bezeichnet wird. Zwar kann eine angeborene Skoliose auch einen Beckenschiefstand auslösen, häufiger ist jedoch der umgekehrte Fall. Dasselbe gilt für sogenannte Blockaden des Illiosakralgelenks (ISG-Blockade).

Funktioneller Beckenschiefstand

Um die Auslöser eines schiefen Beckens zu verstehen, kannst du dich an zwei Kategorien orientieren: funktioneller Beckenschiefstand einerseits, strukturelle Schiefstellung andererseits. Da in über 90 Prozent der Fälle eine funktionelle Kippung vorliegt, konzentrieren wir uns zunächst auf diese Variante. Eine Schlüsselrolle im Hüft- und Beckenbereich nimmt der Hüftbeuger ein. Dieser Muskel hat seinen Ursprung an der Lendenwirbelsäule und zieht über die Leiste bis zu einem kleinen Vorsprung an der Innenseite des Oberschenkels (Hüftkopf). Bei einseitigen Bewegungsmustern, beispielsweise durch häufiges Sitzen, kann der Hüftbeuger unnachgiebig werden. Aber auch viszerale Strukturen wie beispielsweise die Nieren können zu einem Muskelhartspann des Hüftbeugers und „Verklebungen“ der Faszien führen. Die Kräfte, die durch einen verkürzten Hüftbeugemuskel entstehen, können so stark an dem Gelenk ziehen, dass der rechte Gelenkkopf immer höher in die Gelenkpfanne wandert. Das rechte Hüftbein wird nach oben gezogen, wodurch das gesamte Becken nach links kippt. Die Folge ist eine funktionelle Beinlängendifferenz.

Struktureller Beckenschiefstand

In seltenen Fällen ist eine Beckenkippung anatomisch bedingt. Hier halten die Strukturen des Körpers — Formen und Maße — das schiefe Becken fest, das dadurch nicht von selbst in eine gerade Position zurückkehrt. Der häufigste Grund liegt in einer reellen Beinlängendifferenz. Diese kann auf den Ober- oder Unterschenkel zurückgehen, angeboren sein oder sich im Laufe des Lebens entwickeln. Prinzipiell ist dabei entweder ein Bein zu lang oder ein Bein zu kurz gewachsen. Bei einem „echten“ Unterschied in der Beinlänge können Einlagen oder Sohlenerhöhungen wertvolle Dienste leisten, um die Körperhaltung zu korrigieren. Auch operative Verfahren haben an dieser Stelle ihre Berechtigung. Ist der Beckenschiefstand jedoch funktionell, so ist eine osteopathische Diagnostik ratsam, da die Ursachen für einen solchen Schiefstand sehr vielfältig sein können. Osteopathie hilft, die Funktionsstörung zu beheben, das Becken wieder besser auszurichten und den Körper in einen Gleichgewichtszustand zu bringen.

Der Artikel wurde als Gastbeitrag von Heilpraktiker und Osteopath Julian Fiedler verfasst, der auf diesem Blog schon des Öfteren über osteopathische Themen geschrieben hat, wie zum Beispiel hier zum Thema „Osteopathie und Emotionen“.